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Republik freies AktenlandMarianne Birthlers Staat im StaatVon Michael Kleine-Cosack
Der Rechtsstaat scheint nach wie vor auf verlorenem Posten zu stehen, wenn es um die Aufarbeitung der Vergangenheit des untergegangenen DDR-Regimes geht. Zahlreiche Attacken haben ihm nach 1989 Wunden geschlagen, von denen er sich bis heute kaum erholt hat. Zahllose bis zur Wende eigentlich selbstverständliche Errungenschaften der durch das Grundgesetz konstituierten rechtsstaatlichen Ordnung schienen im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung vorübergehend außer Kraft gesetzt worden zu sein. Erinnert sei nur an die Säuberung des öffentlichen Dienstes, an die Eingriffe in das Rentensystem bei Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die Überdehnung des Rechtsbeugungstatbestandes zu Lasten von Richtern und Staatsanwälten der DDR, die Einschränkung des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots und die vom Bundesverfassungsgericht weitgehend für unzulässig erklärten Berufsverbote gegen Rechtsanwälte und Notare. Als besonderer Pfahl im Fleische des Rechtsstaats hat sich die nach dem früheren Bundesbeauftragten benannte Gauck-Behörde erwiesen. Für ihre Leiterin und deren Anhänger - vor allem bei Bündnis 90/Die Grünen und der schon seit 1990 zur Bedeutungslosigkeit verdammten Bürgerrechtsbewegung - soll auch im Jahre 2001 offenbar noch ein rechtsstaatsfreier Sonderstatus gelten. Der Streit zwischen Birthler und Bundesinnenminister Otto Schily erweckt den Eindruck, daß die Birthler-Behörde die einzige deutsche Behörde ist, die mit Unterstützung der Politik frei von gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Bindungen agieren darf. Auf dem Altar der Aufarbeitung des MfS wird der Rechtsstaat geopfert. Schon Hinweise auf eigentlich selbstverständliche Bindungen an Gesetz und Recht werden von den Anhängern der Aufarbeitung empört zurückgewiesen. Statt objektiv und vor allem rechtsstaatlich zu argumentieren, wird von einer "Demütigung" der Bundesbeauftragten durch den herzlosen Innenminister gesprochen, der sich - so Rezzo Schlauch - wie ein Schulmeister gegenüber einem Schulmädchen verhalte. Keine Gleichheit im Unrecht
Man muß sich verwundert die Augen reiben, mit welchen Argumenten nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin die Gauck-Behörde und ihre Sympathisanten in Presse und Politik die bisherige Publikationspraxis verteidigen und die Bundesbeauftragte in ihrem Bestreben unterstützen, sie entgegen der Aufforderung von Schily fortzusetzen. Dieses Verhalten ist bereits deshalb unverständlich, weil die von Frau Birthler geleitete Behörde die umstrittene Praxis eigentlich schon vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hätte einstellen müssen - bis zu einer höchstrichterlichen Klärung. Schließlich kam die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht aus heiterem Himmel. Überrascht sein konnte nur, wer, wie Joachim Gauck, die von kompetenter Seite bis hin zum früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, geübte Kritik an der Publikationspraxis beharrlich nicht zur Kenntnis nahm. Sie wurde ebenso negiert wie Entscheidungen anderer Gerichte, die eine Herausgabe von Akten für unzulässig erklärten. Als Beispiel sei nur auf das Urteil des Landgerichts Kiel im Fall Engholm verwiesen; es beanstandete die Herausgabe der Akten an den Barschel-Untersuchungsausschuß. Die im Vorfeld des Kohl-Verfahrens geäußerten Bedenken waren auch entscheidend für die Haltung des Deutschen Bundestages, auf die Herausgabe der von Gauck bereitwillig angebotenen Akten im Parteispendenuntersuchungsausschuß zu verzichten, da sie unter massiver Verletzung des Persönlichkeitsrechts von Helmut Kohl zustande gekommen waren. All diese Bedenken haben die Gauck-Behörde unbeeindruckt gelassen. So läuft der Deutsche Bundestag Gefahr, daß sein Beschluß gegen die Anforderung der Akten kurzerhand unterlaufen wird durch deren Herausgabe an Journalisten oder Historiker. Ungeachtet aller Bedenken setzte die Gauck-Behörde ihre Publikationspraxis fort. Eines ihrer zentralen Argumente vor dem Verwaltungsgericht im Fall Kohl war tatsächlich der Hinweis, man habe schließlich schon seit Jahren Akten von Prominenten publiziert; daher könne es doch auch bei Kohl kein Unrecht sein. So konnte in der Tat zum Beispiel der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt den Inhalt seiner Opferakte der Zeitung entnehmen. Was aber in der Vergangenheit nicht beanstandet worden war, konnte nach Ansicht der Bundesbeauftragten doch nunmehr nicht rechtswidrig sein. Welch ein getrübtes Rechtsstaatsbewußtsein kommt in dieser Haltung zum Ausdruck. Allen Ernstes wird dafür plädiert, den im Grundgesetz statuierten Vorrang des Gesetzes, der alle staatlichen Behörden bindet, zugunsten eines rechtsstaatsfremden Prinzips der Tradition zu mißachten. Die Gauck-Behörde nimmt für sich das Recht in Anspruch, durch eine gesetzwidrige Praxis geltendes Recht außer Kraft zu setzen. Dabei lernt ein Student der Rechtswissenschaften bereits im ersten Semester, daß es keine Gleichheit im Unrecht gibt; nicht einmal durch eine langjährige Mißachtung kann man Gesetze "aushebeln". Aus dem gleichen Grund völlig verfehlt ist das von den Verteidigern der Birthler-Praxis angeführte Argument, was man den Ostdeutschen - wie eben Höppner - angetan habe, müßten nun auch Westdeutsche erdulden. Der Rechtsstaat des Grundgesetzes mit seiner Bindung an das für jedermann geltende Gesetz aber verbietet schon grundsätzlich jede Differenzierung nach Heimat und Herkunft. Im übrigen hat Katarina Witt, die ehemalige "Eiskönigin" der DDR, mit ihrer Klage gegen die Gauck-Behörde dem Versuch den Boden entzogen, die Publikationspraxis mit dem politisch vordergründigen Argument zu rechtfertigen, der Westdeutsche Kohl müsse ebenso wie die Ostdeutschen behandelt werden. Katarina Witt stammt aus dem Osten und ist dennoch nicht an der Publikation ihrer Opferakte interessiert; das hat die Öffentlichkeit zu respektieren. Auch für die Gauck-Behörde müssen die Grundrechtsmaßstäbe gelten, die vor allem vom Bundesverfassungsgericht bei anderen Personen der Zeitgeschichte nach Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Presse- beziehungsweise Wissenschaftsfreiheit aufgestellt worden sind. Es ist kein sachlicher Grund zu erkennen, einerseits bei einer Prominenten wie Caroline von Monaco im Hinblick auf hinzunehmende Eingriffe in die Privatsphäre genau zu differenzieren, ob sie von Paparazzi mit ihrem Ehemann auf der Straße, in einem Gartenlokal oder gar im Bett "erwischt" wird, hingegen bei Eingriffen des MfS nahezu jeden Persönlichkeitsschutz zu verweigern. Die in diese Richtung gehende Argumentation von Gauck, man habe beim Stasi-Unterlagengesetz die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen nicht derart "hoch hängen" können, daß der Aufklärungserfolg gefährdet worden wäre, ist rechtsstaatlich ebenso abwegig wie sein Diskreditierungsversuch, Kohl habe sich mit seiner Klage "praktisch mit der PDS verbündet". Hätte also die Gauck-Behörde angesichts der massiven Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit ihrer Publikationspraxis diese eigentlich schon vor Verkündung des Urteils des Berliner Verwaltungsgerichts einstellen müssen, so gilt dies erst recht, nachdem die Berliner Richter sie für rechtswidrig erklärt haben. Gewiß ist das Urteil noch nicht rechtskräftig; es kann noch mit Rechtsmitteln angefochten werden. Keine andere Behörde in Deutschland jedoch würde wie Frau Birthler auf den Gedanken kommen, deshalb die bisherige Behördenpraxis nicht zunächst bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu ändern, wie es Otto Schily jetzt zu Recht fordert. Denn wird schließlich das erstinstanzliche Urteil höchstrichterlich bestätigt, dann erweist sich die Fortsetzung der Praxis in anderen Fällen ebenfalls als rechtswidrig. Dieses Risiko gehen rechtsstaatsbewußte Behörden nicht ein, zumal sie Gefahr laufen, sich der Rechtsbeugung schuldig zu machen. Diese Maxime will die Bundesbeauftragte für ihr Haus nicht gelten lassen. Sie nimmt ungeniert weitere mögliche Rechtsbrüche in Kauf. Überspitzt formuliert: Hätte man der Behörde nach 1990 zur Vergangenheitsbewältigung eine Guillotine zur Verfügung gestellt, dann würden bei Frau Birthler zumindest bis zur höchstrichterlichen Bestätigung der Verfassungswidrigkeit dieser Praxis auch weiterhin die Köpfe rollen. In dem durch Uneinsichtigkeit geprägten rechtsstaatlichen Bocksgesang findet sich auch das Argument der Bundesbeauftragten, das Berliner Verwaltungsgericht habe nur den Fall Kohl, nicht aber über die Rechtmäßigkeit der Aktenpublikation bei anderen Personen entschieden. In der Tat wirkt die Entscheidung des Gerichts nur inter partes, also zwischen den Beteiligten des Verfahrens; eine unmittelbare rechtliche Bedeutung für Dritte kommt ihm nicht zu. Auch dieses Argument rechtfertigt jedoch nicht die Fortsetzung einer möglicherweise rechtswidrigen Behördenpraxis: Schließlich kennt die Rechtsordnung nur wenige Fälle, in denen mit Wirkung für jedermann entschieden wird; im Regelfall wird über die Rechtmäßigkeit einer Behördenpraxis nur inzidenter im Rahmen von Einzelfällen entschieden. Es steht aber bei rechtsstaatlich orientierten Behörden außer Frage, daß Entscheidungen im Einzelfall zum Anlaß genommen werden, die von einem Gericht beanstandete Praxis allgemein zu ändern. Blinde Publikationswut
Birthler steht mit ihrer gegenteiligen Ansicht auf verlorenem Posten. Ihr Wille, trotz der Bedenken des Verwaltungsgerichts weiterzumachen wie bisher, zwingt andere von Publikationen der Gauck-Behörde betroffene prominente Opfer wie Katarina Witt, ebenfalls den Rechtsweg zu beschreiten. Nur wer sich wehrt, bekommt - oder genauer: behält sein Recht. Wer, wie dies Bürger üblicherweise in einem Rechtsstaat tun dürfen, auf die Beachtung von Gesetz und Recht von Amts wegen vertraut, der ist bei der Sonderbehörde der Bundesbeauftragten verraten und verkauft. Sie läßt die Bürger im rechtsstaatlichen Regen stehen und zwingt sie vor Gericht. Anstatt Prozesse zu vermeiden, werden die Gerichte mit Verfahren belastet. Eine höchstrichterliche Klärung der Rechtslage ist unverzichtbar. Dem in der Vergangenheit praktizierten Grundrechtsleerlauf bei der Publikation von Akten des MfS muß endlich ein rechtsstaatlicher Riegel vorgeschoben werden. Den Grundrechten - insbesondere dem verfassungsrechtlich verbürgten Persönlichkeitsrecht - ist auch im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung Rechnung zu tragen. Es darf nicht sein, daß die durch rechtsstaatswidrige Bespitzelung des MfS ohnehin in ihrem Persönlichkeitsrecht beschädigten Opfer durch die rechtsblinde Publikationswut der Gauck-Behörde weitere Rechtseingriffe hinnehmen müssen. Der Bundesbeauftragten ist es ohnehin zumutbar, entsprechend der üblichen Behördenpraxis in vergleichbaren Fällen bis zur letztinstanzlichen Entscheidung abzuwarten. Von ihren Publikationen sind schließlich keine nennenswerten neuen Erkenntnisse mehr zu erwarten. Die letzten Jahre haben bis in die jüngste Zeit immer wieder deutlich gezeigt, daß allenfalls noch mit weiteren Bloßstellungen und Denunziationen zu rechnen ist. Die Reputation der Gauck-Behörde beruht vorrangig auf einer Dämonisierung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Der damit verbundenen Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien muß endlich ein Ende bereitet werden, indem auch im Hause von Frau Birthler mit Schilys Hilfe das Grundgesetz vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Der Autor ist Rechtsanwalt in Freiburg/Breisgau, Am Beispiel des Magdalena-Buchs von
Jürgen Fuchs
In der renommierten Zeitschrift "Kommune" (Heft 4/1998) findet man eine Auseinandersetzung mit J. Fuchs, verfaßt von Marko Martin (1988 in der DDR aus politischen Gründen zum Hilfsarbeiter gemacht und nach einem Besuch bei Stefan Heym auch vom MfS überwacht) - hier leicht gekürzt dokumentiert: Fuchs' neues Buch, das keineswegs ein "Roman" ist, sondern ein konfuser, grummelnder Dauer-Monolog, langerwartet, ist nichts als eine einzige Enttäuschung. Die Antwort auf das nivellierende Dauer-Witzeln gerann nur, wahrscheinlich darin sehr osttypisch, zum sauertöpfischen Dauer-Lamento, das sich durch seine Larmoyanz selbst ins Abseits katapultiert. Von soziologischem Interesse könnte es dennoch sein, zeigt es doch par excellence, wie eine im Osten geschulte Ästhetik des Widerstands vor der unendlich komplexeren West-Wirklichkeit kapitulieren muß und damit zur Karikatur ihrer selbst wird. Jürgen Fuchs, vor den ehemaligen Stasi-Gebäuden in der Ostberliner Ruschestraße: ",DR` ist zu lesen, Deutsche Reichsbahn, dann ,DB`, Deutsche Bahn ... Nur ein Buchstabe muß geändert werden! Deutsche Beamte wollt ihr sein und bleiben, Deutsche Wärter, Deutsche Dienstgrade, Deutsche Vorgesetzte und Vorzimmerdamen ... Wichtig und korrekt gekleidet, gesichert und anerkannt vom jeweiligen Staat, brav und scharf oder milde, wenn die Zeiten so sind ... Is was? Nee!" Die Anklage deutscher Kontinuität, die Zurückverwandlung des Schergen in den Spießer - ist das nicht in der Tat ein großes Thema? Allerdings. Nur wird bei Fuchs alles zu fast hysterischem Pathos, eifernder Rhetorik, und - das Buch hat knapp 500 Seiten - mit von Mal zu Mal unerträglicher werdender Suggestivfragen. Wer schweres Geschütz auffährt, sollte genau sein: Woher weiß Fuchs etwa, daß die braven Bahner ehemalige MfSler sind, woher kommt dieser Generalverdacht gegenüber jeglicher Institutionalisierung und bürgerlichen Existenzform? Der Aufklärer sitzt hier auf einmal in einer recht deutschen Falle: Ein Amt ist ein Amt ist ein Amt, die Sesselfurzer bescheißen uns alle, Krawattenträger sind durch die Bank weg krumme Hunde. Statt am konkreten Fall weiterwirkende Mentalitäten zu beschreiben, das Fortwirken alter autoritärer Muster, blafft Jürgen Fuchs wie der populistische Mann von der Straße schräg nach oben und wittert dort überall, wenn nicht schon Verbrechen, so dann doch zumindest Karrierismus und Wortbrüchigkeit. Der Haken dabei ist nur, daß man mit derlei ungewollt die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie einebnet und die bürokratisch-unsensiblen Stasiaktenverwalter von heute flugs mit den perfiden Stasiaktenverfassern von einst gleichsetzt. Daß Jürgen Fuchs auch noch nach zwanzig Westjahren seinen provinziellen Habitus nicht abgelegt hat und die Realität in der Bundesrepublik nicht wahrzunehmen in der Lage ist, sollte man ihm nicht vorwerfen; die deutsche Kultur wimmelt nur so von Waldschraten und sich selbst marginalisierenden Zauseln, für die jede Ironie schon eine Täter-Strategie ist, um ihnen ihr Leben zu entwerten. An einer Stelle seines Buches heißt es: "Der verfluchte Augenblick der moralischen Überlegenheit". Eine schöne Formulierung, die noch besser würde, wäre sie beherzigt worden. Ein anderes Beispiel: Jürgen Fuchs steht vor der ehemaligen Haftanstalt und wird nicht hineingelassen. Eine Bescheinigung vom Senat, einen Passierschein brauche man, knurrt das Wachpersonal und läßt sich auch durch Fuchs' Erwiderung, daß er hier doch früher Häftling war, nicht erweichen. Wer nun auch nur etwas Herz hat, wird mit Jürgen Fuchs mitfühlen. Wer zynisch ist, bemerkt achselzuckend, daß es eben keine Gerechtigkeit in der Geschichte gibt. Wer in seinem Politikwissenschafts-Seminar aufgepaßt hat, wird entgegnen, daß das Wachpersonal sehr gut daran tat, jemanden ohne Passierschein nicht einzulassen, da sich die liberale Demokratie ja gerade durch die Einhaltung der für alle geltenden Regeln definiert. Wer nun ein guter Schriftsteller wäre, könnte dies alles zusammendenken, über die schmerzliche Inkompatibilität all dieser drei Wahrheiten nachdenken und beim Leser eine fortwirkende, produktive Beunruhigung hinterlassen. Jürgen Fuchs' Reaktion ist leider wiederum simpelste Hausmannskost: Die Hände des Wachpersonals, die auf Knöpfe drücken, sind das nicht ... Wir ahnen, wie es weitergeht, verstehen die Zulässigkeit dieser Reflexion und sind doch nur angeödet von ihrer dauernden Dominanz. Jürgen Fuchs schließlich beim Radio-Hören, Jürgen Fuchs in der Einkaufspassage oder auf der Frankfurter Buchmesse; es ist stets das gleiche Lied. Die Täter des Ostens everywhere und dazwischen die klugen, doofen, sanften, schrillen West-Stimmen, die wieder einmal nix kapieren. Hätte Fuchs in seinen zwanzig Westjahren auch nur einmal die volkseigenen Tomaten von den Augen genommen, wüßte er, daß genau dies die Demokratie ausmacht, ein dauerndes Gewusel und Gedrängel, in dem niemand richtig untergeht, aber auch niemand wirklich ernsthaft wahrgenommen wird, eine Gesellschaft, in der es ununterbrochen lärmt. "Viele wollen unsere Erfahrungen nicht wahrnehmen", klagt der Autor. Na und, möchte man da fast schnippisch antworten. Wer will schon irgendwelche Erfahrungen wahrnehmen? Trotzdem muß man es versuchen, immer und immer wieder, ein listiges Eichhörnchen im Dschungel der Postmoderne. Wahrscheinlich aber gab es im Vogtland keine Eichhörnchen. Regelrecht paranoid wird es dann, wenn Jürgen Fuchs auf der Frankfurter Buchmesse den lauten Eitelkeits-Trubel beklagt und allen Ernstes schreibt: "Oh, ihr flotten, schlauen Kommentare! Ihr wollt uns besiegen und immer im Trend liegen, gut gekleidet, gut formuliert." Imre Kertész, der Auschwitz und Buchenwald überlebte und in beeindruckenden Büchern von seinen Traumata Zeugnis gab, brachte das Problem einmal hervorragend auf den Punkt: "Osten und Westen, der neurotische und der normale Typ. Neurose: die ständig regressive Wiederholung eines traumatischen Erlebnisses in Form stets gleichbleibender Symptome, bis in alle Ewigkeit, das heißt bis zum Tod. Normal: traumatische Störung, darauf die bewußte Aufarbeitung des Traumas, die Schaffung rationaler Garantien zur Vermeidung der Regression, des Rückfalls in die Symptome. Das eine ein Höllenerlebnis: das stets erneute Durchleben von Krankheitszuständen ohne Ende und ohne Ausweg; das andere: Katharsis, Weg der vollen Entfaltung und eines tragischen Glücks." Vielleicht sollte Jürgen Fuchs - statt dauernd alte Havemann-Fotos zu betrachten und alte Biermann-Lieder zu pfeifen - einmal über die kluge Definition dieses ungarischen Juden nachdenken: Sie weist einen Weg ins Freie. Dies jedenfalls wäre ergiebiger, als verkniffenen Spott über jene auszukippen, die bereits innerlich frei geworden sind; Reiner Kunze etwa in seinen Gedichten oder den Namibischen Notizen. Dem neurotischen Fuchs fällt dazu jedoch nur die nächste Verschwörungstheorie ein: "Sie wollen Schmuckstücke ihres Hasses aus uns machen, Spinner, Schizophrene, der eine als Wildfarmer in Namibia..." Spätestens hier kann Literaturkritik nicht mehr mithalten; Jürgen Fuchs, immerhin ein erfahrener Psychologe und Therapeut, müßte eigentlich ahnen, daß er in Gefahr ist, selbst zum Patienten zu werden. Jürgen Fuchs: Magdalena. MfS. Memfisblues. Die Firma. VEB Horch & Gauck. Ein Roman, Berlin: Rowohlt-Verlag 1998
Blender aus der DDR - Ex-Rechtsradikaler reüssiert mit StasihorrorstoryWie der Lichtkünstler Gert Hof mit einer aufgebauschten und teilweise gefälschten Biografie als Stasi-Opfer und Dissident Karriere machte enthüllte im Mai 2005 DIE ZEIT (Nr. 22/2005): Der Blender :Wie der Lichtkünstler Gert Hof mit einer aufgebauschten und teilweise gefälschten Biografie als Stasi-Opfer und Dissident Karriere machte Von Henrike Thomsen und Peter Disch Gert Hof ist ein Mann der Superlative, und er zündelt gern. Zum Beispiel bei der Millenniums-Feier in Athen. Mikis Theodorakis ließ auf der Akropolis einen Chor von mehr als tausend Sängern erschallen. Hof besorgte für 1,9 Millionen Zuschauer vor Ort und eine halbe Milliarde am Fernseher ein monumentales Feuerwerk. Die Akropolis tauchte er in gleißend blaues, weißes und rotes Licht. Starke Scheinwerfer flackerten in der Nacht wie Mündungsfeuer. Dutzende von symmetrischen Achsen formten sich über den Säulenreihen. Wie eine Maschine folgte das präzis choreografierte Feuerwerk der kalten Farben Theodorakis’ Musik. Jubelnde Streicher, schmetternde Bläser, ekstatische Chöre: ein Sound so wuchtig wabernd wie der Rauch von Hofs Feuerwerk und sein geliebter künstlicher Nebel. Gert Hofs "China Millenium Event" vom 1. Januar 2001© Sven Treder BILD Gert Hof ist einer der international erfolgreichsten Lichtdesigner. Zu seinen Kunden zählen die Volksrepublik China, die Europäische Kommission, die Expo 2000, der Musikkonzern Universal und das Washington Holocaust Museum. Als Regisseur konzipierte er die Shows der erfolgreichsten deutschen Rockband Rammstein, bei denen ihr Sänger Till Lindemann effektvoll in Flammen aufging. Praktisch alle großen Medien haben ausführlich über Hof berichtet. Er inszeniert sich als düsterer Schmerzensmann und manisches Genie; einer, der mit einem Gesamtkunstwerk hoch hinaus will über das Mittelmaß. Die passende Lebensgeschichte dazu hat er parat. Sie handelt davon, wie die Stasi 1967 beim damals 16-jährigen Gert Hof eingefallen sei und ihn wegen einiger Pop-Singles und Freiheitsgedichte festgenommen habe. In der Stasi-Haft, sagt der heute 54-Jährige regelmäßig in Interviews, habe ihm ein Wachmann das rechte Auge ausgeschlagen. Seither brenne er vor Wut. So rechtfertigt Hof die Tabubrüche seiner Ästhetik, die Kritiker an Speer und Riefenstahl erinnern. Aber die Geschichte ist maßlos übertrieben und zum Teil frei erfunden. 1. Auf dem rechten Auge blind Hof ist ein unscheinbarer Mann. Untersetzt. Kahlköpfig. Große Brille. Mit diesem starren, milchig eingetrübten Auge hinter dem rechten Glas. Aber er kann erzählen. »Wie Sie vielleicht wissen, saß ich in der DDR anderthalb Jahre in Haft, und die Stasi hat mir ein Auge ausgeschlagen. Das alles wegen zwei Rolling-Stones-Platten, weil Tante Marga aus Hamburg The Last Time und Satisfaction geschickt hatte.« Er habe auch ein paar Gedichte geschrieben, in denen es Anspielungen auf die Beat-Lyrik gegeben habe. In einem preisgekrönten Porträt der Berliner Zeitung schilderte er sein Martyrium im Gefängnis weiter: »Als ich [nach längerer Dunkelhaft, Anm. der Red.] rauskam, blendete die Helligkeit, dass es schmerzte. Ich riss die Arme hoch, um die Augen zu schützen, da schlug ein Wachmann mit seinem Knüppel zu.« Auf einem OP-Tisch sei er wieder zu sich gekommen, auf dem rechten Auge blind. Stasi und Justiz hätten drohend geraten, über den Vorfall zu schweigen. »Jeden Morgen beim Rasieren sehe ich das Auge«, sagt Gert Hof. »Jedes Mal, wenn ich mir ein bisschen unter die Haut schneide, sitzt da dieser Schmerz. Ich weiß ja nicht, was in Bautzen in mir verloren ging. Vielleicht wäre ich ohne diese Erfahrung hinterm Postschalter gelandet oder Banker geworden.« Aber was ist damals wirklich passiert? Taucha ist eine deutsche Kleinstadt wie aus dem Bilderbuch. Schmucke Altstadt mit Kopfsteinpflaster, Schloss, Rathaus und Heimatmuseum. An der Hauptstraße in Richtung Leipzig stehen viele Häuser leer. Eingeschlagene Fenster, verblichene Schilder längst aufgegebener HO-Gaststätten, Mietskasernen. In einem dieser grauen Wohnblöcke wurde Hof groß in einer Zeit, als die DDR ihre Gangart gegenüber Jugendlichen verschärfte. Seit 1965 war die Angst des Staates vor der »Verherrlichung der westlichen Lebensverhältnisse« so groß, dass das Hören von »Beatmusik«, die »Einschleusung westlicher Literaturerzeugnisse« und selbst das Tragen von Jeans zum staatsfeindlichen Akt wurden. Als Folge der Westinfiltration witterte man überall »Gruppierungen, die selbstgefertigte Hetzschriften verbreiten, andere Jugendliche ideologisch beeinflussen«. Stasi-Chef Erich Mielke forderte: »Bei Beginn von Zusammenrottungen muss eingeschritten werden, und die Organisatoren und Rädelsführer müssen festgestellt und zur Übergabe an die Gerichte bzw. zur Einleitung von Arbeitserziehung festgenommen werden.« In dieses Klima fiel die Verhaftung von Gert Hof im September 1967. »Der Gert hat einen Haufen Schallplatten gehabt«, erinnert sich Karlheinz Boesler, der damals zu seiner Clique gehörte. »Er hatte immer sein Kofferradio mit.« Hof schrieb auch Texte und unterlegte sie mit Musik. Boesler erinnert sich an Titel wie Will frei sein wie ein Vogel oder Der Wind der Welt. Die Clique traf sich im Jugendclub, vor dem Kino, im Wartehäuschen der Tram, in Parks – ein Dutzend Unzufriedener, die gegen die Regierung schimpften, immer lauter, selbst beim Schwof in der Stadthalle. In die Kritik an den Verhältnissen mischten sich auch rechtsradikale Töne. Man sang schon mal Nazilieder oder zeigte den Hitlergruß, erinnert sich Boesler. Der Anführer der Gruppe, zehn Jahre älter und wegen Diebstahls vorbestraft, gab den Ton an. »In Leipzig, als wir zum Tanzen waren, da ist er ans Mikrofon und hat gesagt: ›Wollt ihr den totalen Beat?‹ Da haben die Massen getobt«, sagt Boesler. Die Stasi, die die Gruppe beobachtete, sollte solche Parolen als einen wesentlichen Grund für die Anklage wegen »staatsgefährdender Propaganda und Hetze« nutzen. Im Frühjahr 1968 kam es zum Prozess. Der 16-jährige Hof erhielt 18 Monate, der 18-jährige Boesler zwei Jahre. Nach der Wende erwirkte der frühpensionierte Bauarbeiter, der heute in Bayern lebt, ein Rehabilitierungsurteil. Die jungen Leute seien »in ihrer Ablehnung des Kommunismus und Sozialismus auch auf die extreme rechte Seite der Politik« geraten und »plapperten ohne genaueres darüber zu wissen, einiges aus dem Wortschatz der Nationalsozialisten nach«, heißt es darin. Der exemplarische Vollzug der neuen Jugendpolitik traf die Clique mit voller Härte. Aber ein Schicksal, wie es Boesler und viele andere in der DDR für ihren ungelenken Protest gleichfalls erlitten, reichte Hof nicht aus. Dazu passt, dass er die rechten Parolen der Gruppe heute verschweigt und dass er die anderthalb Jahre seiner Strafe in Bautzen verbüßt haben will, dem berüchtigtsten DDR-Gefängnis, in dem unter anderem der renommierte Schriftsteller Erich Loest für angebliche »konterrevolutionäre Gruppenbildung« einsaß. Dokumentiert ist dagegen nur, dass Hof nach einem halben Jahr Untersuchungshaft bei der Stasi in Leipzig die restlichen zwölf Monate in einem Jugendgefängnis in Thüringen absaß, wie die Zentrale Haftkartei des Innenministeriums der DDR belegt. Vor allem aber ist da die Sache mit dem Auge. Seinem Arbeitgeber Werner Hecht vom Brecht-Zentrum der DDR erzählte Hof Mitte der siebziger Jahre eine ganz andere Version: Er habe das Auge 1957 durch einen Unfall verloren, und zwar durch einen Ballwurf. Auch in einem handschriftlichen Lebenslauf, 1968 in der Haft verfasst, führte er aus: Er habe in seiner frühen Kindheit einen »Augenunfall« gehabt, sei rechts erblindet und seither Brillenträger. Dass es sich dabei nicht um eine von der Stasi befohlene Tarngeschichte handelt, bestätigen Jugendfreunde wie Boesler: Hof hatte nach ihrer Erinnerung bereits als Kind einen Sehfehler. Fotos zeigen einen dicklichen Jungen mit Hornbrille. Auf einem Faschingsbild, Hof mit Cowboyhut und Pistole, ist der milchige Streifen auf der rechten Pupille deutlich zu sehen. Es ist der gleiche Streifen, den man heute erkennt, wenn er über seine Vergangenheit erzählt ohne zu blinzeln. 2. »Ich war der Terrorist« Die Chausseestraße in Berlin-Mitte: Eckkneipen und Weinbars, Bioläden und Kiezkioske. Touristen pilgern zu den Gräbern von Bertolt Brecht und Heiner Müller auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, Einheimische steuern morgens um zehn auf das erste Glas zu. Hier liegt das Büro der G. Hof Productions, eine international vernetzte Veranstaltungsfirma für Feuerwerk und Bühnenshows, Musikvideos, Installationen und Ausstellungen. Hof ist ein gemachter Mann, der privat mit seiner Familie in Wandlitz lebt, dem idyllischen alten Kurort und Wohnsitz der DDR-Politprominenz. Doch die Vergangenheit ist nicht fern. Wenige hundert Meter nördlich von Hofs Büro auf der Chausseestraße liegt das Brecht-Zentrum, das Werner Hecht aufbaute. Der Herausgeber der großen Brecht-Werkausgabe bei Suhrkamp erinnert sich gut an seinen ehemaligen Zögling Gert Hof. »Der kam 1976 auf mich zu, da war er in Leipzig als Bibliothekar tätig, war aber eigentlich Chemiefacharbeiter. Jemand hatte entdeckt, dass er viel liest, und gemeint: ›Du machst in unserer Fabrik die Bibliothek.‹ Ich nahm ihn auf, weil ich im Begriff war, das Brecht-Zentrum zu gründen. Ich dachte, der kann mal den Stab übernehmen. Ich habe viel auf ihn gehalten, auch viel in ihn investiert.« Unverhofftes Glück für einen, der doppelt behindert war durch das Auge und seine Haftstrafe, die er nach Hechts Erinnerung damals nie erwähnte. Zunächst erfüllte Hof die in ihn gesetzten Erwartungen. Der gelernte Chemielaborant, der nach den Akten des Brecht-Zentrums seit 1969 in verschiedenen Leipziger Betrieben gearbeitet hatte und sich von 1974 an per Fernstudium zum Bibliothekar fortbildete, kompilierte jetzt Inszenierungsdokumentationen und hielt Vorträge. Doch mit Beginn der Achtziger wurde er aus Hechts Sicht unzuverlässig. »Er kam nicht zur Arbeit oder ging ohne Begründung zeitiger weg.« 1982 habe er ohne Erlaubnis für Alexander Lang am Deutschen Theater gearbeitet. »Da kam er dann fast überhaupt nicht mehr. Es war klar, dass ich ihn entlassen musste.« Hof leistete sich vielleicht Unregelmäßigkeiten, aber er wurde nicht wieder aufmüpfig. Im Gegenteil: Hecht erinnert sich, dass Hof noch in Leipzig für die Aufnahme in die SED kandidierte und einen Literaturclub der FDJ leitete. Von 1976 an war er laut Personalkarte des Brecht-Zentrums Mitglied der Staatspartei und wurde später zum Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaftsgruppe gewählt. Ein Beitrag, den er als dramaturgischer Mitarbeiter für Alexander Lang zu Die Rundköpfe und die Spitzköpfe verfasste, referiert brav über den »Aufstand der unzufriedenen Massen« und die »Zeit des antifaschistischen Kampfes«. Später jedoch hat Hof seine Vita ganz auf Dissidententum getrimmt und sich zum Ausnahmeintellektuellen und Kultregisseur stilisiert. Nach seiner Haftentlassung, so erzählt er in Interviews, habe er in Leipzig studiert: zunächst »Antike Philosophie«, denn »das war eines der wenigen Fächer, in denen man mit dem SED-Überbau nichts zu tun haben musste«. Nach zwei Jahren sei das Fach eingestellt worden und er an die Theaterhochschule Hans Otto gewechselt, zu Theaterwissenschaft und Regie. Gleich mit seinen ersten Inszenierungen habe er größtes Aufsehen erregt. Zum Beispiel mit der DDR-Erstaufführung von Heiner Müllers Philoktet: »Ich ließ die Schauspieler in Trenchcoats wie bei der Staatssicherheit herumlaufen.« Dazu habe er ihnen Glühbirnen in die Hand gegeben, »die ungeheuer große Schlagschatten machten, fast acht Meter hoch«. Das Stück sei nach drei Aufführungen abgesetzt und verboten worden. »Aber es wurde legendär.« Oder Schillers Wilhelm Tell am Theater Leipzig, eine Produktion, bei der er einfach die Titelrolle gestrichen habe. Dem Leipziger Intendanten, einem der mächtigsten in der DDR, sei bei der Generalprobe »das Essen aus dem Gesicht« gefallen, so Hof in der Süddeutschen Zeitung. »Für mich war Theater ein Instrument, um gegen das Land zu kämpfen. Ich war der Terrorist.« Seltsam nur, dass sich niemand sonst daran erinnert und sich in den Archiven nichts darüber findet. An der Karl-Marx-Universität gab es damals gar kein Spezialfach »Antike Philosophie«. Bis 1969, so Professor Klaus-Dieter Eichler, der bis 2001 in Leipzig lehrte, bot die Uni einen Gesamtstudiengang Marxistische Philosophie an. Von 1971 an kam eine fünfjährige Ausbildung in Geschichte der Philosophie dazu, inklusive Platon und Aristoteles. Einen separaten Studiengang zur Antike gab es jedoch laut Eichler »definitiv nicht«. Auch in den Akten der Hans-Otto-Schule findet sich nichts, obwohl man über jeden Studenten Buch führte, und nichts in den Archiven der Oper Leipzig, die über die vollständigen Unterlagen der Städtischen Theater aus den Siebzigern verfügt. Weder von Wilhelm Tell noch von anderen Inszenierungen, die Hof für sich reklamiert, findet sich eine Spur. (Später in Berlin hat er sich ebenfalls Aufführungen und Auszeichnungen fälschlich im Lebenslauf zugeschrieben.) »Der Tell ohne Tell würde mir bestimmt durch den Kopf gehen, schließlich war das Städtische Theater sonst so muffig«, sagt der Kritiker Michael Hametner, der seit 1975 die Leipziger Szene kennt. Auch Karl Georg Kayser entsinnt sich nicht. »Das würde ich auch nicht vergessen haben, ein Wilhelm Tell in diesem Zeitraum«, sagt der Sohn des damaligen Leipziger Generalintendanten, der bis 1972 selbst an der Hans-Otto-Schule studierte und in Leipzig 1976 als Regisseur debütierte. Die DDR-Erstaufführung von Philoktet stammt unterdessen von Annegret Hahn, heute Intendantin des Thalia Theaters Halle, die von Hof noch nie etwas gehört hat. Kein mutiger Regimekritiker, kein maßgeblicher Regisseur: Am Ende war Hof weder für den Staat noch für die Kunst der DDR wichtig. Ein Mitläufer vielmehr, einer mit Parteibuch, der erst, als der Wind der Perestrojka wehte, in der DDR-Rockszene hervortrat und 1986 das unbequeme Musical Paule Panke für die Band Pankow inszenierte. Pankow hatte die kritische Parabel über die Langeweile in der DDR und »die alten Männer / zu lange verehrt« freilich bereits seit 1981 gespielt. Als der Stoff für das Theater aufbereitet werden sollte, stieß Hof dazu. »Der schlich sich so ein und bekundete sein Interesse«, erinnert sich der Sänger und Hauptdarsteller André Herzberg. »Er kam und hat seine Scherze gemacht. Er war nicht so politisch.« 3. Die größte Waffe ist die Wahrheit »Gert Hof / … / Ein Spagat der Extreme / Das Größte immer zu klein / … / Übertreibung eine Tugend…/ So sagt man, er würde die Dinge ins Rechte Licht setzen / Einen Speer in die Nachtwolken werfen«, heißt es in einem Gedicht von Till Lindemann, dem Sänger von Rammstein. Die Zusammenarbeit mit der Band seit den späten Neunzigern gab der Ästhetik von Hof zuletzt doch eine politische Note. Rammstein wurde wegen der Herrenmenschenposen und der vieldeutigen Anspielungen bekannt, die Lindemann mit rollendem r vorträgt. Hof konzipierte die monumental-mystischen Bühnenshows, die das Image der Band prägten, ebenso das Video Stripped mit Zitaten aus Riefenstahls Olympia-Filmen. Seither boomt auch die Karriere als Lichtregisseur für Jubiläen, Galas und kommerzielle Events; Anfang Mai brannte er das große Feuerwerk zur 1200-Jahr-Feier von Magdeburg ab. Zu solchen offiziellen Anlässen gibt sich Hof stets politisch korrekt. Sogar für die Gedenkstätte von Auschwitz plante er eine große Installation: eine Serie meterhoher Kinderporträts, die am Weg zum Krematorium stehen und langsam in Flammen aufgehen. Die Rammstein-Ästhetik, ins Moralische gewendet. Leere Monumentalität, mit dem Leid der Naziopfer verschränkt. Zu Hofs Lieblingsgeschichten gehört, wie er zwar für heikle Kunden wie die chinesische Regierung oder arabische Scheichs arbeite, ihnen dabei aber eine Lektion erteile. Die Anekdoten ähneln sich, ob sie sich im fernen Peking oder in Dubai zugetragen haben sollen. Die Auftraggeber wollen Hof die Gestaltung des Feuerwerks vorschreiben. Er bleibt standhaft bei seinem Konzept und setzt sich am Ende durch. »Man muss mit den Jungs einfach Klartext reden«, sagte er der Sächsischen Zeitung. Klartext aber ist das Letzte, was Hof spricht. Mit immer neuen Märchen stilisiert er seine Geschichte, verschleiert und schönt. Kein Zweifel: Gert Hof ist ein Opfer der Stasi geworden, doch er ist kein reines Opfer geblieben. Sein Vorgehen erinnert an das schizophrene Verhalten der ostdeutschen Bürgerrechtler und Intellektuellen, die nach der Wende als Stasi-Mitarbeiter enttarnt wurden. An die Schriftsteller Fritz Rudolf Fries und Sascha Anderson etwa, aber vor allem an Ibrahim Böhme, der 1989 als Gründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR zu Medienruhm gelangte. Böhme hatte sich in einem Gebäude aus Halbwahrheiten und Lügen eingerichtet, das er auch nach seiner Enttarnung nicht aufgab. Um sich interessant zu machen, gab er sich als Sohn jüdischer Emigranten aus. Nach außen Teil der Opposition, für eine Flutblatt-Aktion selbst verhaftet, blieb er aber Teil des Systems und verfasste heimlich bis zum Ende der DDR Berichte für Mielkes Apparat. Ausgerechnet wie bei den janusköpfigen Zuträgern der Stasi also verwischen sich bei Hof Züge von Opfer und Täter; wie mancher Ostdeutscher scheint er die volle Wahrheit verdrängen zu müssen. Dabei profitierte Hof auf Kosten anderer, als er seine Geschichte heftig aufbauschte und – moralisch doppelt fragwürdig – seine Tabubrüche damit legitimierte. Leider konnte er sich stets darauf verlassen, dass dankbare Reporter seine Geschichten unhinterfragt aufschrieben und ohne Gegenrecherche abdruckten. (Die Verfasser dieses Artikels fielen zunächst auch auf Hof herein und veröffentlichten 2003 ein unkritisches Porträt.) Trotz wiederholter Bitten um Stellungnahme hat er sich gegenüber der ZEIT zu den neuen Erkenntnissen bisher nicht geäußert. Gert Hof ist ein Blender. Ein Mann, der sein Fähnchen überall in den Wind hängt, die typische Mischung aus Biedermann und Brandstifter, der sein Geschäft damit gemacht hat, sich als prinzipientreu und unbeugsam darzustellen. »Welche Werte sollen wir unseren Kindern weitergeben?«, fragte ihn die Zeitung Junge Freiheit einmal. »Moral«, antwortete er. »Bei wem und wofür ist noch eine Entschuldigung fällig?«, fragte die Deutsche Welle. »Fällt mir jetzt nichts ein«, sagte Hof. »Ich lebe nach dem Grundsatz: Die größte Waffe, die der Mensch hat, ist Wahrheit.« Journalisten + westliche 'Dienste'Im Zusammenhang mit dem "Schäfer-Bericht" gibt es neuere Erkenntnisse über das Zusammenwirken von bundesdeutschen Nachrichtendiensten und Medien ("Nachrichtendienstmagazin"), wobei auch frühere Stasi-Tätigkeit kein Hindernis ist:
Die geheime Zusammenarbeit zwischen Journalisten und dem Bundesnachrichtendienst (BND) war und ist immer ein heißes Thema. Erich Schmidt-Eenbohm hat darüber ein Buch veröffentlicht. Der Journalist Eckart Spoo (Frankfurter Rundschau) hat es für die Zeitschrift Ossietzky rezensiert, die in Hannover erscheint. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages kann diese Buchbesprechung verbreitet werden; anschließend noch der Text eines Beitrags im ARD-Fernsehmagazin kulturreport über jenes Buch: Schon vor Erscheinen des Buches "Undercover - Der BND und die deutschen Journalisten" von Erich Schmidt-Eenboom reagierte Michael Naumann aufgebracht. Der frühere Redakteur des "Münchner Merkur" und der "Zeit", der es später zum Leiter des Rowohlt-Verlags brachte, heute eine New Yorker Tochterfirma des Medienkonzerns Holtzbrinck leitet und bei Gerhard Schröder zum Schattenmann für Kultur avanciert ist, wollte nicht als Verbindungsmann des Bundesnachrichtendienstes mit dem Decknamen "Elze" genannt werden. Über diese schriftliche Forderung kann sich Autor Schmidt-Eenboomnur amüsieren. Denn "Elze", so erfährt man aus seinem Buch, heißt in Wirklichkeit Böhme und war lange Zeit Leiter der BND-Dienststelle 923, deren Aufgabe die Zusammenarbeit mit den Medien war. Über Naumann liest man vielmehr dies: Von Dienststellenleiter "Elze" persönlich geführt, habe Naumann den Decknamen "Norddorf" erhalten. Aber als Schwiegersohn des zeitweiligen BND-Präsidenten Gerhard Wessel habe Naumann auch andere Kontakte zu diesem Geheimdienst gehabt. Der Deckname "Norddorf" entspricht der Regel, nach der die Dienststelle 923 ihre "Pressesonderverbindungen" tarnte: Der Anfangsbuchstabe stimmt mit dem des Klarnamens überein wie bei Heinz van Nouhuys = "Nauke", Peter Boenisch = "Bongart",Herbert Kremp "Konen", Klaus Jacobi = "Jachenau", Armin Mohler = "Mühlen", Enno von Loewenstern = "Leoben", Karl Holzamer (früherer ZDF-Intendant) = "Hupperz", Walter Steiger (Intendant des Senders Freies Berlin und später der Deutschen Welle) = "Steffel", Jens Feddersen (langjähriger Chefredakteur der "Neuen Ruhr-Zeitung") = "Feldmann", Otto B. Roegele (Herausgeber des "Rheinischen Merkur") "Dr. Richard", Helmut Cron (Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes in dessen Anfangsiahren) = "Colberg", Wilhelm Reissmüller ("Donan-Kurier") = "Rotfüchs", Helmut Kampmann ("Rhein-Zeitung") = "Köslin". Schmidt-Eenboom nennt hunderte Journalisten, die er auf BND-Listen fand. Kleine Lokalredakteure oder Musikrezensenten sind nicht darunter. Zum großenTeil sind es Chefredakteure, Herausgeber, Intendanten. Von einigen gibt er auch die V-Nummern an. Was er präsentiert, ist eine illustre Versammlung nicht nur strammer Rechtsschreiber von "Bayernkurier", "Bild", "Welt" und FAZ, sondern auch mancher Einerseits-andererseits-Kommentierer von öffentlich-rechtlichen Anstalten und von Blättern, die als liberal firmieren. Über die "Süddeutsche Zeitung",aus deren Redaktion er etliche Namen nennt, heißt es u.a.: "Immer wieder einmal ist es dem BND gelungen, der ,Süddeutschen Zeitung 'Desinformationen zu verkaufen." General Gerhard Wessel, engster Mitarbeiter des BND-Gründers General Reinhard Gehlen schon in den Zeiten, als der Dienst noch "Fremde Heere Ost" hieß (zwischendurch bedienten sich die USA zehn Jahre lang dieser deutschen Spionagetruppe, bevor sie sie 1955 dem von Hans Globke geleiteten Bundeskanzleramt unterstellten), sagte als Gehlens Nachfolgeran der Spitze des BND am 9. Oktober 1974 vor dem Guillaume-Untersuchungsausschuß des Bundestages: "Ich halte es für eine legitime und ehrenvolle Mitarbeit auch von Journalisten, wenn sie dem BND Erkenntnisse vermitteln."Freilich: "Die Frage der Honorierung ist ein Problem für sich."Einige Einzelheiten darüber wußte 1986 der heutige Chefredakteur der "Woche", Manfred Bissinger, in dem Buch "Unheimlich zu Diensten - Medienmißbrauch durch Geheimdienste" (hg. von Ekkehardt Jürgens und Eckart Spoo) mitzuteilen: "Der Dienst hatte einzelne Redakteure, vor allem Korrespondenten in den osteuropäischenStaaten, unter Vertrag und zahlte monatliche Gehälter für deren Berichte. Das schwankte je nach Ergiebigkeit des Standorts (Moskau wurde besser bezahlt als Warschau) zwischen 1.000 und 8.000 Mark monatlich. Die Journalisten hatten Agentennummern und Agentenführer. Letztere gehörten meist zu Tarnfirmen, die der BND für solche Zwecke unterhielt. Mir war einer gut bekannt - Agentennummer V 16173, heute ein wohlbestallter deutscher Chefredakteur. Für seine Berichte kassierte er damals bis zu 10.000 Mark im Monat." Bissinger erläuterte: "Ich spreche in der Vergangenheitsform, obwohl ich annehme, daß es heute nicht viel anders ist." Schmidt-Eenboom ergänzt nun, daß es für die PR-Strategen des BND in der Regel nicht erforderlich gewesen sei, sich Journalisten gefügig zu machen: "Viele mußten nicht einmal konspirativ angeworben werden, sondern wandten sich aus eigenem Antrieb an den BND. Nur wenige erhieltenein regelmäßiges monatliches Entgelt für ihre Kooperation, und nur einige wurden von ihrem Verbindungsführer mit Gratifikationen von der goldenen Uhr bis zum Schmuckstück für die Gattin oder eher bescheidenen Geldprämien bedacht... In den allermeisten Fällen erfolgte die Vergütung durch die Ware Information." Andererseits gab es, wie im Guillaume-Untersuchungsausschuß der damalige Staatssekretärim Kanzleramt Horst Ehmke darlegte, "regelmäßige Geldleistungen an Presseangehörige, deren Gegenleistung, falls es überhaupt eine Gegenleistung gab, jedenfalls nicht auf dem Gebiet der Auslandsaufklärung lag" - obwohl die Aufgaben des BND auf dieses Gebiet beschränkt sind. Wie Schmidt-Eenboom bei seinen Recherchen feststellte (zweieinhalb Jahre arbeitete er an dem Buch), kam es auch vor, daß der BND darauf verzichtete,einen Journalisten anzuwerben; Begründung: Er erfülle auch so seinen Zweck. In diese Kategorie könnte auch der "Zeit"-Herausgeber Theo Sommer gehören, den Schmidt-Eenboom so zitiert: "Ich bin da völlig unbefangen. Wenn einer von denen etwas wissen wollte, dann habe ich es ihm gesagt, und bei meinen Aufenthalten im Ausland habe ich manchen klugen BND-Residenten getroffen, der weit mehr über Land und Leute wußte als der Botschafter..." Die geheimdienstlichen Kontakte der in diesem Buch genannten Journalisten waren jedenfalls von sehr unterschiedlicher Art und Intensität. Als Schmidt-Eenboom sie direkt ansprach, äußerten sich einige überrascht, z.B. Theo Sommers Herausgeber-Kollegin Marion Gräfin Dönhoff (im März 1970 unter dem Decknamen "Dorothea"als erstrangige BND-Pressesonderverbindung registriert). "Ich weiß wirklich nicht, was damit gemeint ist", antwortete sie auf die Anfrage.Sie räumte aber ein, daß ein Mitarbeiter Gehlens, an dessen Namen sie sich nicht erinnere, "gelegentlich bei der Zeit vorbei kam und mit Sommer oder mir gesprochen hat, so, wie man mit irgendeinem Fremden,der eine Zeitung besucht, spricht, ohne daß es dabei um erheblicheProbleme geht". Wilhelm Greiner ("Grothe") Chefredakteur des "Schwarzwälder Boten", antwortete: "Das ist jawie bei der Stasi" - womit er insofern recht haben kann, als offenbar manche Journalisten ohne ihr Wissen geheimdienstlich "abgeschöpft" wurden. Decknamen und V-Nummern allein sind keine Beweismittel. Der Unterschied ist nur, daß diejenigen Medien, deren frühere oder jetzige Chefs beim BND registriert waren oder sind, selten Bereitschaft zeigen, den Stasi-IM's zu glauben, die ihrerseits versichern, nie wissentlich für den Geheimdienstgearbeitet zu haben. Bei Einzelnen - wie Hans Heigert ("Holtkamp") von der "Süddeutschen"- vermutet Schmidt-Eenboom sogar, ihre Registrierung könne bloßem "Wunschdenken" des BND entsprungen sein. Aber wenn einer wieder langjährige "stern"-Herausgeber Henri Nannen ("Nebel") als "voll tragfähige regelmäßige Verbindung"geführt wurde, ist anzunehmen, daß er sich dem Gehlen-Wessel-Kinkel-Porzner-Geiger-Dienst nützlich gemacht hat. Und das gilt für viele, die in jungen Jahren schon bei "Fremde Heere Ost" oder als Propagandaoffiziere tätig gewesen sind. Hier stützt sich Schmidt-Eenboom auf das reichhaltige Material, das Otto Köhler in "Wir Schreibmaschinentäter- Journalisten unter Hitler - und danach", Köln 1989, zusammengetragen hat. Mit Genehmigung des Autors zitieren wir eine Passage des Buches, die sich mit Dr. Dr.h.c. Hans Otto Wesemann befaßt, dem Gründungsintendanten der Deutschen Welle. Wesemaun war in der Goebbels-Zeitschrift "DasReich" Leiter des Wirtschaftsressorts gewesen. So kamen die "Fachleute"(eine Formulierung des heutigen DW-Intendanten Dieter Weirich), die Wesernann an den Sender holte, "häufig aus dem Umfeld des Reichspropagandaministeriums, aber auch aus den Reihen der Osteuropäer, die im Zweiten Weltkrieg für Gehlens Wehrmachtsabteilung Fremde Heere Ost nachrichtendienstlich tätig waren". Weiter berichtet Schmidt-Eenboom: "Daß Wesemann Personal nicht nur aus dem NS-Medienverbund, sondern auch ausdem Geheimdienstbereich gewinnen konnte, hat einen dunklen Hintergrund.SPD-Mitglied Wesemann, in der Weimarer Republik als Journalist für den Vorwärts und den Sozialdemokratischen Pressedienst tätig, war 1933 nach London emigriert. Als das Geheime Staatspolizeiamt die deutsche Botschaft in der britischen Hauptstadt um die Suche nach einem geeigneten Agenten zur Infiltration der Exilgruppen bat, meldete die Londoner Vertretung schnell Vollzug. Dr. Hans Wesemann hatte sich am 28. Juni 1934 zur Zusammenarbeitmit der Gestapo verpflichtet. Im Herbst reiste er nach Berlin, um erste Aufträge entgegenzunehmen. ,Ich begriff, daß ich die deutsche Sache verraten hatte und legte mir Sühne auf, bekannte er später. Seine Wiedergutmachung bestand in dem Versprechen, der Gestapo deutsche Oppositionelle ans Messer zu liefern. Bei dem Versuch, sich an den kommunistischen Propagandaspezialisten Willy Münzenberg heranzumachen, scheiterte er an dessen Routine. Aber der von Straßburg aus agierende Pazifist Berthold Jacob war ein argloses Opfer. Der Mitarbeiter von Carl von Ossietzky setzte im französischen Exil im Unabhängigen Zeitungsdienst seine Enthüllungen über die deutsche Aufrüstung fort - sehr zum Zorn von Gestapochef Reinhard Heydrich. Jacob kannte Wesemann aus Weimarer Zeiten, er war Trauzeuge gewesen, als der Sozialdemokrat die Jüdin Herta Meyer aus Leipzig geheiratet hatte. Wesemann gewann das Vertrauen seines alten Freundes Jacob durch die Lieferung von Informationen, Spielmaterial der Gestapo, und lockte ihn schließlich mit dem Versprechen, eine englische Ausgabe seines lnformationsdienstes zu organisieren und ihm die erbetenen falschen Pässe auszuhändigen, am 9. März 1935 im Auftrag von zwei Trierer Gestapobeamten nach Basel. Mit Hilfe eines Lörracher Gestapokommissars entführte er dann seinen ehemaligenTrauzeugen im Taxi über die Grenze nach Deutschland, schon am 12.März saß der Mitarbeiter Ossietzkys zum Verhör in der Berliner Zentrale des Heydrich-Dienstes. Die Schweizer Behörden waren 1935 noch entschlossen genug, nun ihrerseits den sofort geständigen Wesemann zu verhaften und mit Erfolg auf der Auslieferung von Berthold Jacob zu bestehen, der am 18. September freigegeben wurde. Für den operativen Einsatz bei der Gestapo nicht Manns genug und in der Schweiz als geheime Verbindung in die Exilgruppen überdies verbrannt, durfte Wesemann dann in seinen angestammten Beruf als Journalist zu Joseph Goebbels wechseln."
Militärischer Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee:
Ein BRD-Staatsanwalt und Filmkritiker würdigt den NVA-Aufklärungsdienst: »Kleiner Streifzug durch ein halbes
Jahrhundert
Rechts- und Filmgeschichte [...] Gewiß gab es andere Wege, als das Forum
Oberhausen zu vereinnahmen. Mein Freund Dieter Popp wurde Spion. Schon
1956 hatte er nicht verstanden, warum die KPD verboten wurde. Der
Antikommunismus des Kalten Krieges war ihm zuwider. In Westberlin
hielt er es nicht aus. Nach Oberhausen kam er nicht, wohl aber nach
Bonn. Um zu verhindern, daß aus dem Kalten Krieg ein heißer
wurde, entschloß er sich, 1968 Aufklärer für die NVA
zu werden. Die Verwaltung Aufklärung der Nationalen Volksarmee
machte ihn zum Residenten für die Führung der Quelle Egon
Streffer im Planungsstab des Bundesministeriums der Verteidigung in
Bonn. Egon und Dieter griffen auf Dokumente mit dem Geheimhaltungsgrad
"Streng Geheim", "NATO-Secret" und "US Top-Secret"
zu. Bis 1989. Zwei Jahre später wurde er zu sechs Jahren Haft
verurteilt. Als Spion, sagt das Gericht. Als Kundschafter des Friedens,
sagt er. Nach dem Beitritt wurde Spionage nur dann bestraft, wenn
sie für die DDR erfolgte. War sie zu Gunsten Bonns erfolgt, gab
es Orden. Was aus der Ungleichbehandlung folgte, ist in dem empfehlenswerten
Erinnerungsbuch "Kundschafter im Westen" zu lesen, in dem
Dieter Popp einen Beitrag geschrieben hat. Zitiert aus: |